VW zum Ersten, zum Zweiten und zum Dritten   
04/02/2004 00:46

Streit um „VW-Gesetz“ dauerhaft auf Eis gelegt / Neuer Großaktionär / Reduzierte Investitionen in China

Europas größter Automobilbauer hat mit einigen Neuigkeiten aufzuwarten: Da ist zum einen das Gezerre um das „VW-Gesetz“, zum anderen der neue Großinvestor und dann noch die Investitionskürzungen, von denen u.a. das VW-Engagement auf dem chinesischen Markt betroffen ist.

Am interessantesten sind die ersten beiden Ereignisse, die in einem bemerkenswerten chronologischen und inhaltlichen Zusammenhang stehen und sich direkt sowie indirekt um das „VW-Gesetz“ drehen. Bei dem Gesetz von 1960 geht es um die Stimmrechtsverteilung, denn kein Aktionär darf mehr als 20 Prozent der Stimmrechte bei Volkswagen haben, selbst wenn er mehr Aktien hat, und das Gesetz gibt zudem dem Land Niedersachsen als mit Abstand größtem VW-Eigner großen Einfluss bei dem Autohersteller.
Dem EU-Binnenmarktkommissar Frits Bolkestein ist dieses Gesetz ein Dorn im Auge. Nach seiner Einschätzung verstößt das VW-Gesetz gegen das Recht auf freien Kapitalverkehr in der EU und sei daher EU-rechtswidrig. Es könnten ausländische Groß-Investoren durch die von ihm als Investitionshürde angesehenen Regelungen abgeschreckt werden, so seine Befürchtung. Daher drängte die EU-Kommission noch am 15.01.2004 auf Änderung beim „VW-Gesetz“. Die Kommission hatte Mitte März 2003 das Verfahren gegen Deutschland wegen des VW-Gesetzes eingeleitet. Vorangegangen waren bereits jahrlange Voruntersuchungen. Nun, zehn Monate nach der Eröffnung des Vertragsverletzungs-Verfahrens verlangte die Kommission von der bundesdeutschen Regierung ultimativ die Änderung des VW-Gesetzes. Dieser Schritt ist die zweite Stufe des EU-Verfahrens. In der ersten Stufe des Verfahrens hatte die Bundesregierung ein Mahnschreiben nach Artikel 226, EG-Vertrag, erhalten, wonach das Gesetz EU-Recht verletze, und wurde lediglich um eine Stellungnahme gebeten. Bei einer Weigerung Berlins, könnte die Kommission in einem dritten Schritt vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH) ziehen, dem dann die Zukunft des Gesetzes obläge. Die Bundesregierung hatte die Vorwürfe stets zurückgewiesen und immer betont, daß das VW-Gesetz und die einzelnen Regelungen mit dem europäischen Recht vereinbar seien. Ein Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit liegt aus Sicht Berlins nicht vor.
Am 20.01.2004 war in der Presse zu lesen, daß sich der Streit um das VW-Gesetz zwischen der EU-Kommission in Brüssel und der Bundesregierung in Berlin verschärfte. Bereits am 21.01.2004 sollte die EU-Behörde auf Wunsch von Bolkestein über den nächsten Verfahrensschritt entscheiden. Statt dessen vertagte die EU-Kommission jedoch erneut eine Entscheidung über das VW-Gesetz um eine Woche. Und dann, am 27.01.2004, gab es die überraschende Nachricht, daß die EU-Kommission ihre Entscheidung über weitere juristische Schritte auf unbestimmte Zeit verschoben und auf Eis gelegt hat. Angeblich solle der Bundesregierung mehr Zeit eingeräumt werden, um zu einer einvernehmlichen Lösung zu kommen.

Was war geschehen? Eine Meldung zwei Tage später, am 29.01.2004 im manager-magazin, läßt ahnen, was dazu geführt haben könnte. Die Meldung beschäftigte sich mit einem neuen Großaktionär bei VW, dem milliardenschweren US-Investmentberater Brandes Investment Partners, der seine Beteiligung aufgestockt habe und seit dem 9. Januar 2004 6,15 Prozent der VW-Stammaktien halte. Neben dem Land Niedersachsen ist Brandes damit zweitgrößter Aktionär bei VW geworden, der Konzern selbst hält allerdings auch 9,8 Prozent an eigenen Aktien. Die gemeinsamen Beteiligungen der Mandanten von Brandes belaufen sich zusammen auf 19,7 Millionen Stammaktien des Autobauers. In Finanzkreisen wurde die Beteiligung von Brandes als positives Zeichen gewertet, da sich der Investmentberater auf besonders werthaltige Beteiligungen konzentriere. Brandes ist bereits seit längerer Zeit bei VW investiert. Experten gehen deshalb von einem "strategischen Investment" aus. Da die VW-Aktie derzeit an der Börse recht günstig bewertet sei, habe Brandes die Gelegenheit wohl zum Kauf genutzt, sagte ein Automobilanalyst einer deutschen Großbank, wie das manager-magazin schrieb.

Es sei "geradezu grotesk" sagte Pischetsrieder am Donnerstag in Essen der Nachrichtenagentur vwd, daß ein solcher Großaktionär gleichzeitig mit Äußerungen von EU-Binnenkommissar Frits Bolkestein, das Unternehmen würde durch das VW-Gesetz bevorteilt und der Einstieg ausländischer Investoren erschwert, in Erscheinung trete. Es gehört keine große Phantasie dazu, in dem Rückzieher der EU-Kommission und dem Brandes-Engagement einen Zusammenhang zu sehen. In der Tat hat die Anteilsaufstockung von Brandes die Argumentation von Bolkestein schlichtweg widerlegt und ihm damit die Grundlage für das Vertragsverletzungs-Verfahren entzogen. Man kann annehmen, daß die Kenntnis der EU-Kommission über das Brandes-Engagement zum Einschlafen der weiteren Verfahren gegen die Bundesregierung und das VW-Gesetz geführt hat. Und vermutlich wird das Verfahren – wenn es lange genug geschlafen hat – auch noch ganz eingestellt.

Ganz anderes Thema, aber gleiches Unternehmen:
Der Wolfsburger Automobilkonzern Volkswagen wird in den kommenden Jahren rund eine Milliarde Euro weniger in den Wachstumsmarkt China investieren als ursprünglich vorgesehen. VW-Chef Pischetsrieder begründete den geringeren Betrag mit dem gegenüber dem Euro gesunkenen Dollarkurs. Zugleich unterstrich er die Wichtigkeit des chinesischen Marktes für den Wolfsburger Autobauer. „Wir werden in den kommenden Jahren fünf Milliarden Euro in China investieren“, sagte Pischetsrieder am Donnerstag auf einer Veranstaltung in Essen. Früher hatte VW sechs Milliarden Euro in den Jahren 2004 bis 2008 in Aussicht gestellt.
Ein Konzernsprecher erklärte dazu, das ursprünglich in Aussicht gestellte Investitionsvolumen von sechs Milliarden Euro bis zum Jahr 2008 sei vom Aufsichtsrat keine Blockentscheidung, keine starre Festlegung gewesen. Vielmehr sollten die Investitionen der Marktentwicklung angepasst werden. VW ist mit 30 Prozent Marktführer auf dem Wachstumsmarkt China und will früheren Angaben zufolge bis zum Jahr 2007 seine Kapazitäten auf 1,36 Millionen Fahrzeuge nahezu verdoppeln.
Europas größter Automobilkonzern hatte Mitte November nach einem Gewinneinbruch im dritten Quartal sein Investitionsvolumen für die Jahre 2004 bis 2008 um elf Prozent auf 41,6 Milliarden Euro gesenkt. Abstriche an der geplanten Modelloffensive sind aber nicht geplant.

Der gesamte Artikel zu den Investitionsstreichungen ist in Handelsblatt-online unter www.handelsblatt.com/pshb?fn=TT&sfn=GO&id=786788 nachzulesen.